Kapitel 3: Wie Bartleby zum Schreiber wurde

Ich schaffte ein mittelmäßiges Abitur, und da ich erst im Studium mitbekam, dass man nach dem Abi eigentlich erst mal einige Zeit herumreisen oder sonstigen Blödsinn veranstalten kann, bewarb ich mich um eine Zivi-Stelle. Allerdings nicht als Urin-Kellner oder mobiles Restaurant, sondern im Umweltschutz. Motto: Einzelkämpfer, der im ewigen Eis bedrohte Pinguin-Eier beschützt oder sowas. Heute weiss ich gar nicht mehr, wie ich ohne Internet diese ganzen Adressen der Institute und biologischen Stationen herausbekam, denn es waren hunderte, die oft sogar schon auf Jahre hinaus ihre Zivildienstleistenden verpflichtet hatten, aber nach wundgewähltem Finger bekam ich eine Stelle in einem biologischen Institut im Münsterland.

Eigentlich sollte ich dem Botaniker des Instituts beim Kartieren der bedrohten Pflanzenarten helfen, aber meine Kenntnisse reichten wohl noch nicht ganz aus und mich zu qualifizieren, hatte der Doktor entweder keine Lust oder Zeit. Ich landete im Sekretariat und tippte Geschäftskorrespondenz, Berichte, Untersuchungen und was sonst noch so in einem Institut anfällt. Und so wurde ich zum Schreiber. Spannend waren die wissenschaftlichen Texte, aber leider nicht der größte Anteil meiner Arbeit. Irgendwie fühlte ich mich betrogen um meinen Einsatz in der wilden Natur des Münsterlandes, was ich einem beamteten Zivi-Überwacher, der mich eines Tages besuchte, um die Arbeitsbedingungen im Institut zu prüfen, auch brühwarm berichtete. Worauf dieser meinen Chefs gehörigen Druck machte und die mich dann als Nestbeschmutzer zum Unkraut jäten auf dem Institutsgelände verurteilten. Ein Zivi im Büro geht nämlich nicht, weil dafür auch eine weitere Bürokraft eingestellt werden könnte. Zivis dürfen anderen nicht die Arbeit klauen sozusagen.

Sicher verstehen Sie, dass es mir nicht leicht fiel, einen Sinn darin zu finden, beispielsweise den Schotterweg zwischen Amphibienanlage und Libellenteich vom Unkraut zu befreien, denn erstens siedeln sich auf solchen Extremstandorten besonders interessante Pflanzengesellschaften an und zweitens hätten die Chefs - wenn es denn wirklich wichtig gewesen wäre - auch für diese Tätigkeit jemand einstellen können, zum Beispiel einen Gärtner. Aber da ich nicht wieder als Nestbeschmutzer gelten wollte und das Jäten fest verdichteter Flächen wirklich anstrengend ist, brauchte ich nicht wieder den Zivi-Beauftragten bemühen, sondern klagte dem Dorfarzt von meinen Rückenschmerzen. Und da er ein verständnisvoller Dorfarzt war, der nachvollziehen konnte, dass ich mich um meinen Natur-Einsatz betrogen fühlte, wurde ich wochenlang krank geschrieben. Wegen Lumboischialgie, was auch immer das ist. Glauben Sie nicht, dass ich jetzt zum Bücherregal stürze, wo irgendein veralteter Pschyrembl der 2xx. Auflage herumsteht - ich bin zu faul.

Na jedenfalls verstanden meine Chefs, und wir einigten uns auf Teilzeit in der Natur ohne das Jäten und Teilzeit im Büro. In der Natur hockte ich dann zwar wieder stundenlang am Boden herum, aber es hatte immerhin wissenschaftlichen Wert, denn ich zählte Sonnentaupflanzen. So biss ich also die Zähne zusammen, wenn Rücken oder Mücken schmerzten und malte dem Botanic-Doc getreuliche Abbildungen der Sonnentau-Flora auf durchsichtige Din-A4-Folien. Erstaunt stellte ich fest, dass auf einem einzigen Quadratzentimeter über hundert Pflanzen sein können, wenn dort zufällig ein Blütenstand hingefallen ist, denn so ein Drosi-Keimling braucht erst mal nur einen einzigen QuadratMILLImeter Platz.

Die Folie hätte also tatsächlich ein Mini-Treibhaus für sagenhafte 62.000 Jungpflanzen sein können (297mm x 210mm), aber so eine Fläche blieb mir glücklicherweise erspart.

So tippte ich also, rubbelte auch Letraset-Punkte auf Verbreitungskarten und zählte die zarten Pflänzchen, während meine damalige Freundin, die ja nicht ins Münsterland hatte umziehen müssen, Ihr Studium begann und mich wegen eines Kommilitonen abservierte, wie ich meine erste Liebe wegen ihr abserviert hatte.